Wertewandel

Überlegungen zur Situation

Zeitenwende“ als Ende ethischer Werte?

Diese Zeit ist zu einer Zeit des Umbruchs geworden, die die Werte der letzten Jahrzehnte massiv verändert. Schwarz-weiß, statt differenziert. Ausblendend statt Fakten berücksichtigend. Plakativ statt hintergründig.

Der Vorlauf dazu sind die 2 Jahre Corona-Pandemie, sind die Verschwörungsmythen, die öffentlich-rechtliche Presselandschaft und die Netz-Bubbles. Sowie die Erklärungen der Regierungen zu einzelnen Handlungen und globalen Situationen.

Neben den vielen nicht mehr im Diskurs stehenden Positionen bleibt nur eine Situation, in der eine Einigkeit zu herrschen scheint. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist ein Verbrechen. Das scheint die letzte gemeinsame Positionen in dieser Gesellschaft zu sein.

Aber wenn ich mir dann die öffentlich vertretenen Positionen ansehe, scheinen ethische Begründungen an allen Orten als Handlungsbegründung aufzutauchen. Aber sehr oft im absoluten Widerspruch zu vergleichbaren Situationen. Also mal als Begründung von Handlungen, mal als zu vergessenden belanglose Ethik-Floskel ohne Bedeutung.

Wir sahen im Netz Selfies, wie ukrainische Soldaten gefesselte russische Kriegsgefangene erschossen oder Personen an einen Laternenpfahl banden und sexuell misshandelten und folterten. Selfies mit Kriegsverbrechen, die nach einigen Angaben auch an die UNO weitergegeben worden sind. Es wurden auch Kriegsverbrechen von russischen Soldaten benannt, teilweise mit Bildern untersetzt. Auch diese wurden laut anderen Angaben an die UNO übermittelt.

Reaktionen darauf, eine Ächtung Russlands und Boykott Forderungen und Maßnahmen gegen Russland. Keine Reaktion zu den Tätern aus der Ukraine, außer, dass die Dateien nicht mehr zu finden sind und der Fakt nicht mehr genannt wird.

Und wegen der Kriegsverbrechen der russischen Föderation wurde auch ethisch begründet, dass deshalb Boykott von russischem Gas nötig sei!

Gleichzeitig wurde erklärt, dass aus dem Grund Fracking-Gas aus den USA eingekauft werden müsse. Die USA, die Assange für 150 Jahre in den Knast stecken wollen, weil er Kriegsverbrechen der USA aufgedeckt hat. Wo aber weder die Regierung noch die Gerichte die Kriegsverbrecher verfolgen. Es ist für unsere Regierung also vertretbar von Staaten, die für Kriegsverbrechen bekannt sind, Gas zu kaufen. Aber eben nicht von allen Kriegsverbrechen begehenden Staaten. Gibt es also ethische Gründe, warum die einen Kriegsverbrechen keine Verurteilung auslösen, aber andere schon? Ich sage: Alle Kriegsverbrechen gehören bestraft, ohne Unterschied, wer die Tat begangen hat!

Es wird gesagt, dass, wegen dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands, Boykott nötig ist, um Russland dafür zu bestrafen. Welche Reaktion gab es auf dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei auf das Nachbarland und die Ankündigung der Vernichtung der Kurden? Keine. Fast alle, die den russischen Angriffskrieg verurteilten, blieben ruhig, als es um den türkischen Angriffskrieg ging. Verbal wurde beiden Regimen ein geplanter Vernichtungskrieg gegen die angegriffene Bevölkerung nachgesagt. Also ist nicht jeder Angriffskrieg zu verurteilen? Offensichtlich nicht für unsere Regierung.

Das ist eine Wertebeliebigkeit statt Werte-Erhalt. Das ist eine Absage an das Grundgesetz, die Menschenrechte und an das Völkerrecht sowie das Kriegsvölkerrecht. Die „westlichen Werte, Menschenrechte, Würde und Demokratie, gelten also nur in wenigen Fällen, nicht generell. Aber Menschenrechte sind unteilbar! Es gibt sie nur ganz oder gar nicht!

Bisher sind laut UNO im zu verurteilenden Krieg Russlands gegen die Ukraine ca. 5.500 Zivilisten getötet worden, zwischen 10 und 15.000 ukrainische Soldaten und ca. 30.000 russische Soldaten starben – alles Menschen die noch eben könnten. Die zivilen Opfer werden als ein Grund genannt, kein Gas von Russland zu kaufen. Deshalb flogen Regierungsmitglieder nach Saudi Arabien und kaufen dort mehr Gas von Saudi Arabien und Katar. Saudi Arabien begeht gerade seit 2015 Völkermord im Jemen (bisher mindestens 400.000 Opfer!). Bisher kein Grund, Saudi Arabien zu boykottieren. Die „größte humanitäre Katastrophe“ auf dem Planeten ist der Völkermord im Jemen, sagt die UNO zur Situation im Jemen. Das ist aber für die deutsche Regierung kein Grund, nicht die Rohstoffe dort zu kaufen oder Waffen an Saudi Arabien zu verkaufen.

Darf man da sagen, dass die deutsche Bundesregierung offen nach rassistischer Politik handelt? Sie bewertet das Leben von Europäern als viel wichtiger als das Leben von nicht europäischen Menschen? Von Menschenrechten als politische und wirtschaftliche Handlungsmaxime sehr weit entfernt.

Auch hier eine inhaltliche Absage an das Grundgesetz, die Menschenrechte und an das Völkerrecht sowie das Kriegsvölkerrecht. Deshalb scheint es mir eine Politik zu sein, die nach Werte-Beliebigkeit und damit nach versteckten „Werten“ handelt. Um von den Wähler:innen weiter als wählbar eingestuft zu werden, versuchen die Regierungen ihre Handlungen zwar ethisch zu verkaufen und damit ihre Barbarei zu vertuschen. Es ist eine Barbarei, die die Gesellschaft zerstört, die die Werte dieser Gesellschaft ad absurdum führt.

Ist Kritik an der Regierung für dieses verwerfliche Umgehen und das Missbrauchen von positiven Werten erlaubt? Auch gegen das Narrativ: „Alles gegen Putin“ auf die Widersprüche der angeblich wertebestimmten Politik aufmerksam zu machen?

Für welche Werte stehen wir hier als Zivilgesellschaft in Deutschland?

Für welche Werte wollen wir stehen?

Für welche Werte sollte die Deutschen Regierungen (Bund, Länder) aber auch die Parlamente stehen?

Fragen die wir für uns klären müssen! Und die wir nach meiner Überzeugung zivilgesellschaftlich sowie gesellschaftlich in breitem Diskurs erarbeiten müssen.

karsten jagau